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Die Analogie

Wenn ich mich manchmal als Mensch einer Menschheit im geistigen Spiegel betrachte, dann sehe ich eine dicke, fette Raupe, auf einem fast kahlgefressenen, sterbenden Ast. Ich denke es wird höchste Zeit, dass sich die Menschheit transformiert. Wie eine Raupe die sich verpuppt, um sich in einen Schmetterling zu verwandeln. Aber unsere Gesellschaftsraupe hält ewiges Wachstum für alternativlos und taumelt von einer Krise in die Nächste. Deshalb brauchen wir für die gesellschaftliche Metamorphose mehr kreative Imagination. Wir brauchen mehr Imago-Zellen…

 Was Imago-Zellen sind, klärt sich im Interview mit Geseko von Lüpke und Nicanor Perlas über das Buch "Zukunft entsteht aus Krise" auf interessante Weise. 

 Nicanor Perlas: unsere Kultur kennt Mythen und Metaphern für Krise, Krieg und Weltuntergang. Gibt es auch starke Metaphern für den kreativen Wandel?  

 Geseko von Lüpke: Es gibt eine wunderbare Analogie für Veränderungsprozesse, wenn man einmal an die Welt der Schmetterlinge denkt. Und dabei handelt es sich um mehr, als nur eine bildliche Metapher. Die amerikanische Biologin und Autorin Norie Huddle hat dies wissenschaftlich beschrieben. Sie hat sich intensiv mit den biologischen Prozessen bei der Transformation der Raupe zum Schmetterling beschäftigt. Dieser Prozess ist höchst erstaunlich und kann uns als eine wunderbare Analogie für den Wandel dienen, der zur Zeit in der arabischen Welt, aber prinzipiell auch in der ganzen Welt stattfindet. 

Nicanor Perlas: Was passiert denn biologisch, wenn sich die Raupe verpuppt und sich in einen Schmetterling verwandelt?

Geseko von Lüpke: Wenn sich eine Raupe in ihren Kokon einspinnt, dann vollziehen sich parallel zwei Prozesse. Einerseits beginnen Enzyme damit die Zellstruktur des Wurms aufzulösen, andererseits entstehen parallel zu diesem Desintegrationsprozess neue Zellen, die sich von den Zellen des Wurms massiv unterscheiden. Man könnte sagen: Sie schwingen in einer anderen Frequenz als der Rest des Raupenkörpers. Die Wissenschaftler, die diesen Prozess untersuchen, nennen diese neue Zellen ‚imaginativ’ oder ‚Imago-Zellen’, weil sie bereits die Strukturen und Informationen des Schmetterlings enthalten, der sich in der Zukunft bilden soll. Diese Zellen repräsentieren also so etwas wie eine Zukunft, die schon in der Gegenwart enthalten ist und nach Entfaltung strebt. Und je mehr das alte biologische System krisenhafte Zerfallsstrukturen zeigt, desto wirksamer und zahlreicher werden die Imago-Zellen.  

Nicanor Perlas: Wie aber reagiert das alte, noch bestehende biologische System des Wurms auf diese neuen Zellen? Sind die Imago-Zellen für den Wurm eine Art gefährliche Krankheit, die es zu bekämpfen gilt?  

Geseko von Lüpke: Ja, tatsächlich behandelt der Körper diese Zellen wie eine Art Antikörper und versucht alles, um sie zu vernichten. In der Sprache der Medizin würde man von der Aktivierung des Immunsystems des Organismus sprechen, der Körperfremdes zu bekämpfen versucht. Dabei entstehen diese neuen Zellen aber aus dem alten Körper, nur gehen sie in ihrer Art über das alte System und seine Ordnung hinaus. Also unterliegt das Immunsystem einem Missverständnis, wenn es das Neue, was sich da andeutet, für einen Fremdkörper hält und es unterdrücken, töten und verschlingen will. Und tatsächlich gelingt es dem Immunsystem häufig, diese erste Generation von Imagozellen zu eliminieren. Das verändert aber nichts an den Zerfallsprozessen im verpuppten Wurm, die weitergehen.

Nicanor Perlas: Sind die neuen Zellen mit dem ersten Erfolg des Immunsystems ausgeschaltet?

Geseko von Lüpke: Nein! Diese neuen Imago-Zellen tauchen weiter auf und werden immer mehr. Schon bald kann das Immunsystem der Raupe diese Zellen nicht mehr schnell genug vernichten. So überleben immer mehr der Imago-Zellen diese Angriffe. Neuere Forschungen verweisen sogar darauf, dass Imagozellen der zweiten Generation, die angegriffen werden, ihrerseits die Immunzellen infizieren, selber Imagozellen hervorzubringen. Also geht es im Kern um einen Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen. Während also Teile des Alten buchstäblich sterben, wird nach und nach die Zukunft geboren.  

Nicanor Perlas: Wie verhält sich dann die zunehmende Zahl der Imagozellen?

Geseko von Lüpke: Da hat Norie Huddle und ihr Team erstaunliches beobachtet: Die bis dahin ziemlich einsamen Imago-Zellen, die isoliert in einer feindlichen Umgebung lebten, beginnen sich in kleinen Gruppen zu verklumpen. Dabei schwingen sie auf einer ähnlichen Ebene und beginnen von Zelle zu Zelle, Informationen miteinander auszutauschen. Dann, nach einer Weile, passiert wieder etwas höchst erstaunliches: Diese Klumpen von Imago-Zellen beginnen Gruppen und regelrechte Netzwerke zu bilden! Sie formen lange Fäden von verklumpten Imagozellen, die in der gleichen Frequenz schwingen und nun in größerem Maßstab miteinander innerhalb der verpuppten Larve Informationen austauschen. Dann, an einem bestimmten Punkt, scheint dieser lange Faden von Imago-Zellen plötzlich zu begreifen, dass er etwas ist. Etwas anderes als die Raupe. Etwas Neues!

Nicanor Perlas: Was geschieht an diesem Punkt, an dem sich das Neue in seiner Kohärenz selbst zu organisieren beginnt?

Geseko von Lüpke: Mit der Erkenntnis einer eigenen Identität verwandeln die neue Zellstruktur den alten Raupenkörper von Innen. Diese Erkenntnis ist die eigentliche Geburt des Schmetterlings. Denn damit kann jetzt jede Schmetterlingszelle ihre eigene Aufgabe übernehmen. Für jede der neuen Zellen ist etwas zu tun, alle sind wichtig. Und jede Zelle beginnt das zu tun, wo es sie am meisten hinzieht. Und alle anderen Zellen unterstützen sie darin, genau das zu tun. Das ist die perfekte Methode der Natur, einen Schmetterling zu erschaffen. Und ein wunderbares Beispiel dafür, wie eine Schmetterlingsbewegung aufzubauen ist ...

Nicanor Perlas: Also sehen Sie die Metamorphose der Raupe in einen Schmetterling als eine Analogie für soziale Transformationen?

Geseko von Lüpke: Absolut! Menschen, die für neue Möglichkeiten wach werden, sind so etwas wie die Imago-Zellen der Gesellschaft. Der Prozess der sozialen Transformation beginnt mit dem Auftauchen von Individuen, welche die Samen der Zukunft in sich tragen. Sie sind ‚imaginativ’, indem sie in ihrem Sein und ihrer Identität einen Aspekt der zukünftigen Wirklichkeit in sich tragen. Diese innovativen Individuen sind so etwas wie Fackelträger einer sich entfaltenden Zukunft, werden in der eigenen Gesellschaft aber erstmal als ‚Abweichler’ wahrgenommen. Man sieht sie nicht gerade als Überbringer guter Nachrichten, sondern greift sie als Störenfriede gegenwärtiger Verhältnisse an. Diese Reaktion konnten wir in den ganze letzten Wochen in der arabischen Welt allabendlich in den Nachrichten beobachten.

Nicanor Perlas: Dann würden die Militärs und Sicherheitsapparate also die Funktion des Immunsystems des alten gesellschaftlichen Systems einnehmen?

Geseko von Lüpke: Ganz genau! Man fühlt sich von den neuen ‚Zellen’ – den innovativen Initiativen und Individuen – bedroht, weil sie die alten Gewohnheiten der bisherigen Gesellschaft, die in der Analogie der verpuppten Raupe entspricht, offenbar zerstören wollen. Das bedrohte System aber will das scheinbar gute alte Leben, seine Regeln und Normen verteidigen und setzt sich zur Wehr. In extremen Fällen werden diese innovativen Individuen der ersten Generation auch getötet – man denke nur an John F. Kennedy, Martin Luther King, Mahatma Gandhi und so viele anderen, die alle ihr Leben lassen mussten, weil sie dem herrschenden System zu gefährlich erschienen. Im Ägypten der letzten Monate war es ein Internet-Aktivist namens Khaled Said, den Geheimpolizisten am Juni 2010 auf offener Straße zu Tode geprügelt hatten. Und die ersten Demonstranten auf dem Tahrirplatz folgten genau ein halbes Jahr später einem Aufruf unter dem Titel ‚Wir sind alle Khaled Said!’. Deutlicher kann die Analogie kaum sein: Das Immunsystem der alten Gesellschaft versuchte, die Visionäre einer anderen Zukunft loszuwerden. Trotzdem verhinderten diese gewalttätigen Reaktionen nicht, dass immer mehr neue ‚imaginierende’ Individuen in der Gesellschaft auftauchen. Im Gegenteil!

Nicanor Perlas: Muss denn die Reaktion auf das ‚Neue’ dann quasi zwangsläufig so gewalttätig ablaufen?

Geseko von Lüpke: Die bestehende Ordnung des Systems kann mit Mord und Totschlag reagieren, wie es dann in Libyien passiert ist. Es muss nicht immer soweit gehen. Manchmal besteht es darin, die Zeichen des Neuen zu ignorieren oder erste Regungen zu unterdrücken oder einfach so zu tun, als gäbe es keinen Widerstand. Das sind alles Methoden des Alten, sich von der Dynamik eines lebenden Systems, wie eine Gesellschaft es ist, abzuschotten. Und der Sterbeprozess passiert ja gleichzeitig auch im alten System. Nicht nur, dass die Initiativen der Veränderung in der arabischen Welt die Soldaten der alten Ordnung infizieren und auf ihre Seite zogen. Das alte System zerfällt ja auch, weil es sich überlebt hat. Der gesellschaftliche Rahmen und das Paradigma des Alten hat nicht mehr die Kraft, die Probleme, die es schuf, zu lösen. Und in so einem Moment bricht das neue durch. Die Individuen und Initiativen, die sich eine andere Zukunft vorstellen oder ‚imaginieren’, kommen zusammen und formen verschiedene Bewegungen zum Aufbau einer besseren Gesellschaft. Denken wir nur an die Umweltbewegung, die Bewegung für eine biologische Landwirtschaft, die Jugendbewegung, die Frauenbewegung, die Gesellschaft. Denken wir nur an die Umweltbewegung, die Bewegung für eine biologische Landwirtschaft, die Jugendbewegung, die Frauenbewegung, die Bewegung für die Rechte indigener Völker, die soziale Bewegung der Armen, die weltweite Demokratiebewegung, die neue Bildungsbewegung, die neue spirituelle Bewegung, u.s.w.

Nicanor Perlas: Aber gibt es nicht einen wesentlichen Unterschied? Denn während die Verwandlung des Schmetterlings zur Raupe sich natürlich und selbstorganisiert vollzieht, ist das ja bei gesellschaftlichen Umbrüchen anders ...

Geseko von Lüpke: Richtig. Die Entstehung einer neuen, gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft geschieht nicht automatisch oder wie bei Raupe und Schmetterling als ein natürlicher Prozess. Die materialistische Wissenschaft hat es bislang nicht geschafft, die planmäßige, kohärente und künstlerisch inspirierende Verwandlung einer Raupe in einen Schmetterling überzeugend zu erklären. Sie kann nicht begreifen, wie eine neue Ebene von Organisation und Emergenz aus einem Bündel genetischer Programme der Raupe entsteht, von denen einige in der Organisation des Schmetterlingskörpers gar nicht mehr gebraucht werden. In diesem Prozess ist offenbar eine höhere Form von Intelligenz, vielleicht so etwas wie ein formendes Feld im Organismus wirksam. In der Natur vollzieht sich dieser wunderbare Prozess der Transformation ganz naht- und fugenlos von alleine. In der menschlichen Welt ist das nicht so. Menschliche Intelligenz muss ihre Vorstellungskraft entwickeln, teilnehmen und den Wandel von einem Wurmstadium zu einem Schmetterlingsstadium der Gesellschaft aktiv wollen. Und dabei braucht es den Willen und die Entscheidung von Millionen von Menschen, die sich für einen Wandel einsetzen.

Nicanor Perlas: Willen und Entscheidung sind innere Prozesse. Braucht es diese individuelle Ebene der Umorientierung, um gesellschaftlichen Wandel zu ermöglichen?

Geseko von Lüpke: Dieser Prozess, aus der Opferrolle der Beherrschten oder dem Mitläufertum auszusteigen und ein kreatives Individuum zu werden, welches die Zukunft vorausnehmen will, ist ein ganz eigener und auch paradoxer Prozess. Imagozellen oder imaginierende Individuen entstehen durch einen Prozess der Individuation – das heißt, sie sind nicht mehr Teil des Systems, sie schwimmen nicht mehr im Strom, sondern sie haben ihre eigene unabhängige Beziehung zum System. Sie agieren nicht länger wie programmiert, sie können vielmehr selber neue Programme in das System einbringen. Also braucht es fraglos eine starke Individualität um imaginativ zu werden. Aber das starke Individuum reicht nicht aus, um die Gesellschaft zu wandeln. Was es zusätzlich braucht ist die kreative Erfahrung der Bezogenheit, der schöpferischen Verbindung, der synergetischen Beziehung zu anderen und zur Gesellschaft oder Welt als Ganzes. Wenn sich das Individuum nur um sich selbst dreht, passiert in der Gesellschaft ziemlich wenig. Dann ist die Identität isoliert von der Welt. Wenn der Einzelne aber die Erfahrung macht, dass seine Individualität erst im Kontakt zu anderen und zur Welt authentisch, stark und bezogen wird, dann passiert etwas Neues.

Nicanor Perlas: Sie haben mal gesagt, dass das Herz jeder Revolution die Revolution des Herzens sei. Ist es diese innere Umorientierung, die Sie meinen?

Geseko von Lüpke: Ja, denn ich bin davon überzeugt, dass wir zunächst einmal eine Veränderung in unseren Herzen, in unserem Bewusstsein, in unserer Denkungsart und Identität brauchen, um eine Welt schaffen zu können, die sich wirklich radikal von der jetzigen bedrückenden Welt unterscheidet, die wir versuchen zu verändern. Das ist der Grund, warum das Herz jeder Revolution die Revolution des Herzens ist. Ohne die Veränderung der inneren Welt kann man die äußere nicht ändern. Die Schlüsselvoraussetzung für diese innere Reise ist die Einsicht, dass das Mitgefühl für die Welt durch das Elend in ihr geweckt wird. Widerstand dagegen ist wichtig, aber mit ihm allein kann man weder die Welt ändern, noch eine neue Welt schaffen, sondern lediglich das Schlechte aufhalten. Aber man muss auch Alternativen kreieren. Der Schmetterling schafft das von alleine, wir müssen dran arbeiten.

Nicanor Perlas: Dann scheint der kritische Punkt ja die Verbindung der Individuen und Initiativen zu sein, die schon eine andere Welt in sich tragen ...

Geseko von Lüpke: Tatsächlich müssen die verschiedenen Bewegungen, die in sich als Samen die verschiedenen Möglichkeiten einer Zukunft tragen, lernen so zusammen zu kommen, dass sie sich in ihren jeweiligen Identitäten und Fähigkeiten gegenseitig unterstützen und stärken. Gesellschaftliche Transformation wird erst dann wirklich möglich, wenn diese ganz verschiedenen Identitäten es lernen, mit- und untereinander eine Synergie zu schaffen. Denn diese Synergien sind so etwas wie der Umriss einer zukünftigen Gesellschaft, die sich verwirklichen will. Das steht uns bevor. Wir müssen also – wie die Imagozellen im Wurm –Wege finden, um untereinander Brücken zu bauen, damit das Neue sich ausbreitet. Und die Welt ist voll von kreativen Menschen und Initiativen, welche die Zukunft neu denken. Aber damit das klappt, müssen wir – glaube ich – den Prozess der Transformation wirklich begreifen. Und daran mangelt es der Zivilgesellschaft oft noch. Viele der kreativen Menschen und Individuen haben nicht das kreative Netzwerk im Vordergrund, sondern die Durchsetzung ihrer isolierten Lösungen, Vorstellungen und Ziele.

Nicanor Perlas: Welche Zukunft sehen Sie für die Zivilgesellschaft, die manche ja schon als ‚neue Weltmacht’ bezeichnen?

Geseko von Lüpke: Die Zivilgesellschaft ist eben vor allem eine unschlagbare kulturelle Kraft. Denn sie ist die kreative Trägerin der vielfältigen Visionen und Werte einer anderen Welt. Das ist ihre Essenz. Aber es geht für jeden einzelnen Aktivisten dieser Welt darum, über den täglichen Egoismus und seine Beschränkungen hinauszugehen, um Teil einer größeren Dynamik zu werden. Die Zivilgesellschaft ist eine kulturelle Quelle von Ideen und neuer Identität, nicht von politischem Kampf um Macht und Einfluss. Das war auch in der ägyptischen Revolution immer wieder wahrzunehmen, als die Menschen trotz aller Unterschiede sich einem gemeinsamen Prozess hingaben. Das war mitten in der Krise der Moment, wo Alternativen sichtbar wurden, ein neues Ägypten durchschien und – um bei der Metapher zu bleiben – die Imagozellen erkannten, dass sie etwas anderes sind, etwas Neues, was nicht aufzuhalten ist.

Nicanor Perlas: Wie lässt sich das dort aufscheinende Neue fördern und organisieren?

Geseko von Lüpke: Einer der vielversprechendsten Wege, um die Möglichkeiten von zunehmender Krise und Chaos zu nutzen, liegt darin, jene ‚imaginierenden’ Individuen oder Pioniere zu identifizieren, welche die verschiedenen Aspekte einer anderen Zukunft in sich tragen. Oft sind das genau jene Menschen, die unter den schwierigsten Bedingungen in der Lage waren, hervorragenden und inspirierende Modelle zu erschaffen. Und dann müssen wir unsere Wahrnehmung so schulen, dass wir die versteckten Verbindungen und unsichtbaren Muster, die all diese unterschiedlichen Initiativen verbinden, erkennen und zugleich jedem ‚imaginierenden’ Individuum helfen dieses lebendige Ganze zu sehen.

Nicanor Perlas: Und welche Rolle spielt der oder die Einzelne in diesem Wandlungsprozess?

Geseko von Lüpke: Eine der wirkungsvollsten Wege ist die Methode, die Zukunft heute schon vorwegzunehmen und Prototypen der möglichen Zukunft zu erschaffen. Wir kreieren die Zukunft, indem wir sie vorwegnehmen und heute schon leben. Selbst wenn das nicht vollständig den Normen des alten Systems entspricht. Das macht auch die Imagozelle nicht anders. Denken Sie nur an die Bewegung atomwaffenfreier Zonen. Das kann symbolisch im eigenen Wohnzimmer eginnen, dann die Schule oder Universität erfassen, den Ort, die Stadt, die Region und das Land. Als sich das Parlament von Neuseeland entschied, den Staat zur ‚atomwaffenfreien Zone’ zu erklären, hatten bereits 70% der Städte diesen kreativen kulturellen Impuls aufgegriffen. Der Beschluss war nur noch Formalität, weil die Zukunft schon da war.

Nicanor Perlas: Was also ist der Kern der Metapher von den Imago-Zellen?

Geseko von Lüpke: Dass die imaginativen Menschen die Zukunft in der Gegenwart erschaffen können! Dass wir nicht auf die Zukunft warten müssen, sondern jetzt und hier erschaffen können. Wenn die Menschen das begreifen – dass sie die Zukunft in sich haben und dann kreativ in die Welt bringen können – dann wird ihnen deutlich, dass sie die Wirklichkeit verändern können. Denn eines Tages wird diese Wirklichkeit dann die neue Realität.

Die Satzung

oder wie wir leben wollen.

Die Vision

eine von >>vielen Möglichkeiten<<

Stell dir vor, da gibt es einen Ort, vielleicht eine alte Finca, etwa 800 Meter über Icod de Los Vinos im Norden von Teneriffa. Es ist eine der steilsten Straßen auf der Insel, mit Blick auf das Meer und im Hintergrund der direkte Blick auf Gevatter Teide.

 

 

Zur Finca gehören mehrere Terrassen am Berg mit ca. 2 ha Land und einigen Gebäuden. Eines davon ist ein recht altes Haus, aber schon ziemlich herunter gekommen. Die Dächer sind undicht, teilweise einsturzgefährdet und die Räume sind nur mit Abstrichen und je nach Jahreszeit bewohnbar. Es gibt noch einige Nebengebäude, die weder legalisiert sind, noch zum wohnen bestimmt waren.

Bis vor einigen Jahren lebte hier eine Dame aus Deutschland. Wahrscheinlich ging irgendwann ihr Glaube an die Menschen vor die Hunde, denn den letzten Teil ihres Lebens widmete sie gequälten Vierbeinern.
Bisher sind die Besitzverhältnisse der Finca ungeklärt. Es gibt den Pflichtteil der Erben und das Testament, in dem der Besitz komplett dem ansässigen Tierheim vermacht wurde. Daher leben auch heute noch ca. 15 Hunde auf der Finca und müssen versorgt werden. Es gibt einige größere Hundezwinger und durch die vormals vielen Hunde hat sich hier eine Rattenplage breitgemacht und der Rest der Finca ist ziemlich verwildert. An diesem Ort lernten sich 4 Menschen kennen:

(wobei auch diese Bekanntschaft eine Vorgeschichte hat, die ich vielleicht an anderer Stelle erzähle) ÖkoHippie (32), Angestellte, arbeitet in der Pflege mit geistig und körperlich behinderten Menschen, ausgebildete Musik- und Klangtherapeutin mit einem Fabel für die Hippiebewegung und liest gern Thriller. Chris (70), Rentner, exzellenter Koch und ein virtuose im behutsamen Umgang mit Pflanzen, Tieren und Menschen. BioRocker (47) selbstständiger Informatiker, hört gern beim Bauen Rock, kann aber auch die leisen Töne und Crowfoot, (47), LKW-Fahrer, Invalidenrentner, Pferdeflüsterer, Hobby-Imker und immer mit dem Pfeifchen am Start.
Manche sagen, die Finca hätte ein miese Karma und dennoch und trotz der eher schlechten Voraussetzungen und Bedingungen beschlossen die Vier hier ihre Vision von einer Gemeinschaft zu realisieren. CrowFoot hatte von der Besitzerin wenigstens einen Mietvertrag mit unbefristetem Wohnrecht und dieser gilt solange, bis die Erbschaft geklärt ist. Wann dies passiert bestimmen die Mühlen der Justiz, die bekanntlich langsam mahlen, vielleicht in 2 Monaten, aber vielleicht auch erst in 2 Jahren?!

Wie könnte es weitergehen?

Als erstes wurde ein gemeinnütziger Verein gegründet, vor allem um die besonderen Anliegen zu formulieren und dem ganzen Projekt eine Basis zu geben. Dann legten sie auch schon los. Mit möglichst wenig Investitionen, viel Arbeit und Flickschusterei wurde der Zustand der Gebäude und ihrer Bewohnbarkeit stetig verbessert.Die verwilderten Terrassen wurden zur Nutzung hergerichtet und mit den natürlichen Pflanzenresten wurde eine erste Version für ein Biomeiler gebaut. Die freien Terrassen boten sich geradezu an, dort Gewächshäuser aus Zivilisationsmüll zu errichten. Das Sammeln von Re- und Upcycling-Materialien war anfangs recht aufwendig. Aber richtig gut lief es, als wir direkt im Hafen von Santa Cruz von der Folien bis zu Einwegpaletten alles geschenkt bekamen. Wir konnten es verwenden und der Hafen war einen Teil seines Mülls los. Die Gewächshäuser wurden zügig bepflanzt und deckten schnell einen Teil des Eigenbedarfs und Überschüsse wurden zum Großteil verschenkt. Dadurch entstanden wundervolle Beziehungen und Partnerschaften zu den nächsten Nachbarn und neuen Freunden weltweit. Mit der breiten Unterstützung bauten wir ebenfalls wieder aus Müll eine erste Aquaponic-Anlage. Wir züchteten seither Speisefisch und versorgten Teile der Gewächshäuser mit den Nährstoffen aus diesem abgeschlossenen Wasserkreislauf.

Was ist in 2 Jahren aus dieser kleinen Gemeinschaft geworden?

 Die Besitzverhältnisse wurden mittlerweile vom Gericht entschieden, so dass das Erbe komplett dem ansässigen Tierheim zufiel. Da das Tierheim selber keine echte Verwendung für das Erbe hatte, konnte unser Verein "Imago-Zellen" die Finca übernehmen. Mit Unterstützung verschiedener Anwälte konnten wir die Eigentumsverhältnisse juristisch so organisieren, dass dieses Stück Land nie wieder in Privateigentum umgewandelt werden kann und auch gegen die moderne Form des Allmende-Raubs abgesichert ist. Aber auch die Vereinsmitglieder als natürliche Personen haben keinerlei Besitzrechte, sondern nur Nutzungsrechte unter den Förderbedingungen aus der Vereinsatzung.

Aber auch sonst ist viel geschehen. Wir leben als gleichberechtigte Menschen zusammen und haben keinerlei Hierarchien. Abstimmungen erfolgen immer auf Einstimmigkeit. Auch wenn diese Organisationsform im Entscheidungsfall durch viel Diskussionsbedarf oft schwierig war, so ist es uns immer wichtig, kein System zu etablieren, bei dem die Mehrheit wieder über eine Minderheit bestimmt. Wir wollen keine Gleichmacherei, aber gleiche Chancen und gleiche Rechte, d.h. soviel Kollektivität wie nötig und so viel Individualität wie möglich. Wir kümmern uns daher gemeinsam um alle nötigen Belange und dennoch hat jeder von uns so sein spezielles Steckenpferd.   

CräuterChris z.B. widmete sich vor allem dem Anbau von Obst, Gemüse und Kräutern. Dabei wurde viel auf Aspekte der Permakultur und natürliche Kreisläufe zurückgegriffen. Unsere Selbstversorgung mit Obst und Gemüse war schnell komplett gesichert und die Überschüsse wurden weiterhin verschenkt oder gingen in verschiedene Tauschringe. Chris langjährige Erfahrung in der Kräuterkunde versetzte uns in die Lage natürliche Heilmittel und Tinkturen herzustellen und im OnlineShop zu vertreiben. Ökohippie hat schon vorher viel mit der Herstellung natürlicher Wasch- Spülmittel, Seifen, Cremes und Salben experiementiert. Heute können wir dadurch den größten Teil unseres Verbrauchswasser sinnvoll für die Gärten nutzen, statt es der Kanalisation zuzuführen.
Ökohippie arbeitet als Musik- und Klangtherapeutin. In Zusammenarbeit mit ihrem alten Arbeitgeber der Diakonie besteht ein Austauschprogramm. Wir haben ständig 1-2 geistig und/oder körperlich behinderte Menschen auf der Finca, die zur Kurzzeittherapie oder einfach nur auf Urlaub einige Wochen bei uns verbringen und mit uns leben.  
CrowFoot hatte bereits vor der Vereinsgründung mehrere Bienenvölker und ist ein hervorragender Hühnerzüchter. Gemeinsam mit BioRocker kümmert er sich auch um die Zucht der Tilapia´s in den Aquaponic-Anlagen. BioRocker experimentiert schon seit dem Bau der Gewächshäuser viel Re- und Upcycling herum, was sich heute auch in alternativen Bauweisen wiederfindet. Neben einer Jurte, einem großen Erdkühlschrank und einem kleinen WohnDome wurde auf einer Terrasse ein Gebäude ähnlich dem Earthship-Prinzip errichtet.

Die Anzahl der festen Mitbewohner ist von 4 auf 12 gestiegen. Als erstes bekamen Ökohippie und BioRocker ihr erstes gemeinsames Kind. Dann stieß die 35 jährige Gartentherapeutin zu uns und etwas später kamen zwei alleinstehende Renterinnen dazu. Eine Dame aus Spanien und eine aus Österreich, die heute mit CräuterChris zusammen ist. Für die Dacharbeiten suchten wir einen Handwerker mit Fachkenntnissen und lernten einen 28 jährigen Zimmermann aus Holland kennen. 6 Monate danach zog er als festes Mitglieder des Vereins ebenfalls auf die Finca. Durch die Kooperation mit sozialen Trägern in Spanien und Deutschland leben ein körperlich Behinderter Herr und eine geistig behinderte junge Frau fest in unserem Kreis und seit kurzem auch ein 5 jähriges Pflegekind.

Wir haben in den letzen 2 Jahren viel umgesetzt. Aber auch unsere Tiere, vor allem die Hunde vom Tierschutzverein, die nur zu oft eine grauenvolle Vergangenheit hatten, brauchen unsere Pflege, aber vor allem auch Zuwendung. Ein Fördermitglied aus Berlin - die Hundeflüsterin - kümmert sich um die Vermittlung an tierliebe Halter und organisiert Pflegepartnerschaften. In den Zeiten wenn sie Vorort ist, arbeitet sie mit den Hunden, kümmert sich um die Relativierung  traumatischer Defizite und bildet die Hunde nach ihren jeweiligen Fähigkeiten aus. Im Augenblick entwickeln wir therapeutische Angebote zwischen Tier und Mensch.

So oder ähnlich könnte unsere Vision, unser Traum von einer Gemeinschaft aussehen. Die Finca existiert, die 4 möglichen Gründungsmitglieder ebenfalls.

DSGVO und so

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Was ist das Wichtigste im Leben?

Hermann Hesse wurden von einem 18-Jährigen gefragt: Was das Wichtigste im Leben wäre? Was sollte man diesem jungen Mann antworten? Wenn wir das nicht wissen, dann gehen wir doch zu Konfuzius zurück. Denn er beantwortet die Frage mit dem Satz: >>klick zum Video<<

"Treue zu sich selbst & Güte zu anderen."